Über das alleinige Erkunden fremder Ufer
In letzter Zeit hat sich unsere Beziehung in eine Richtung entwickelt, die wir uns vor ein paar Jahren sicher nicht hätten träumen lassen. Die vermutlich anfangs auch gar nicht infrage gekommen wäre. Wir führen nun eine Ehe, die einige wohl klassisch als „offen“ bezeichnen würden. Trotzdem sind wir hier noch ganz am Anfang.
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Begonnen hatte es mit einem Witz, den Bonnie auf dem Weg zu einer größeren Party machte. Wir waren im Gespräch über menschliche Interaktionen mit Personen des jeweils anderen Geschlechts, als Bonnie scherzhaft sagte: „Von mir aus kannst du auch mit anderen kuscheln.“ Wie genau das kam, wissen wir beide nicht mehr so genau, aber auf diese Weise war der Grundstein geboren, den wir liebevoll den „Kuschelfreifahrtschein“ nennen. Wir genossen die neu gewonnene Erkenntnis und probierten für uns aus, wie es ist, ein wenig Körperkontakt zu anderen zu suchen und mit ihnen zu flirten. Gleichzeitig amüsierten wir uns über seltsame Blicke von Bekannten, die natürlich wussten dass wir verheiratet sind. Wir merkten, dass diese neue Situation völlig in Ordnung für uns beide ist und wir dies so auch weiter verfolgen möchten.
Die Tage darauf unterhielten wir uns weiter über unsere neu eingeschlagene Richtung und beschlossen, dass wir es beide ausprobieren möchten, jemand anderes zu küssen (natürlich unter der Prämisse, dass der Partner nicht daneben steht). Lange blieb es jedoch nur bei der Absprache, da wir selten auf Partys unterwegs sind und aus Zeitgründen auch kaum alleine etwas unternommen haben. Erfahrungen konnten wir also erst einmal nicht machen.
Auf einer längeren Autofahrt zu Bonnies Familie sprachen wir ebenfalls wieder über unser neues Lieblingsthema, zu dem Clyde dann sagte: „Wenn ich eine andere Frau küsse, weiß ich nicht, ob ich mich zu 100% beherrschen kann.“ Da dies ja eine komplett neue Situation ist, die man aufgrund mangelnder Erfahrung überhaupt nicht einschätzen kann, war er sich nicht sicher, ob das Ganze jungendfrei ausgeht. Normalerweise ist Clyde nicht der Typ, der schnell die Kontrolle verliert und sich auf die typischen Sprüche à la „Ich bin ein Kerl, ich hab einen starken Trieb, ich kann für nichts garantieren“ beruft. Bonnie war jedoch froh, dass er seine Bedenken äußert bevor überhaupt etwas geschieht. So führten wir wieder ein langes Gespräch, wie wir damit umgehen würden, wenn die andere Person jeweils alleine mit jemand Fremden unterwegs wäre und es tatsächlich zum Liebesspiel kommen würde. Letztendlich verbrachten wir viele Abende damit, zu überlegen ob und unter welchen Umständen es für uns in Ordnung wäre, mit jemand anderem zu schlafen. Es waren sehr interessante und tiefgründige Gespräche, die wir führten. Wir fertigten sogar eine Liste mit Regeln an (zum Beispiel keine Übernachtungen oder keine Liebesspiele mit anderen in unserer Wohnung) und beschlossen zusammen, dass wir die ganze Sache gern mal ausprobieren möchten. Ein Schritt nach dem anderen, im gemütlichen Tempo. Schließlich haben wir unsere ganze Ehe noch vor uns und ewig Zeit, also machten wir uns kein Stress.
So kam es, dass wir uns beide auf Tinder anmeldeten. Und wie es fast zu erwarten war, hatte Bonnie dank des Weiblichkeitsbonus nach 12 Stunden bereits 5 Matches und 3 Nachrichten. Bei Clyde hatte sich so gut wie gar nichts getan. Bonnie suchte sich erst einmal einen der Herren aus und schrieb mit ihm; da der Tinder-Chat recht umständlich war, wurden schnell die Nummern ausgetauscht – was Clyde offensichtlich doch zu schnell ging. Am nächsten Tag kam es dadurch zu einer sehr emotionalen und langen Aussprache – Clyde hatte viel mehr mit der Eifersucht zu kämpfen, als er es erwartet hatte. Also gingen wir wieder drei Schritte zurück, meldeten uns von Tinder wieder ab und ließen das Thema vorerst ein wenig ruhen.
Wir haben festgestellt, dass wir mit sehr unterschiedlichen Auffassungen an die ganze Sache rangehen und andere Ansichten und Gefühle haben, die wir erst einmal klären und uns dann auf Kompromisse einlassen müssen. Bonnie kann zum einen Liebe und Sex gut trennen, zum anderen weiß sie, dass sie zu 100% zu Clyde gehört und auch mit niemand anderem als ihm eine Beziehung führen will. Gleichzeitig hat sie ein sehr tiefes Vertrauen zu ihm und weiß, dass er ebenfalls seinen Platz kennt und keine andere Frau fest an seiner Seite haben will. Das gleiche Vertrauen hat Clyde ebenfalls in Bonnie. Er hat jedoch noch die eine oder andere Hürde zu nehmen, was die Eifersucht angeht. Das fällt Bonnie aktuell um einiges leichter.
Clyde kann es sich seinerseits gut vorstellen, dass wir auch bei Clubbesuchen einen Partnertausch vollziehen und bei einem Tête-à-Tête zu viert jeweils mit dem anderen Geschlecht des Paares intim werden. Das wiederum ist aktuell überhaupt nicht Bonnies Fall. Einerseits kann sie sich nicht vorstellen, dass sie es anregt, ihren Ehemann beim Liebespiel mit einer anderen Frau zu sehen; es würde ihr vermutlich nichts ausmachen, jedoch findet sie den Gedanken – im Gegensatz zu Clyde – nicht wirklich erregend. Andererseits ist sie sehr wählerisch, was die Männer angeht. Wenn man sich dazu entscheidet, jemanden zum Beispiel von Tinder zu treffen, kann man erst einmal die Sympathien und Gemeinsamkeiten ausloten und bei ein oder zwei Treffen schauen, ob es menschlich passt. Natürlich ist hier das Aussehen auch ein wichtiger Punkt, gerade wenn es um rein körperliche Geschichten geht, aber da One Night Stands nicht so ganz für uns infrage kommen, ist ein freundschaftliches Verhältnis im Vorhinein natürlich sehr von Vorteil und spielt als wichtiger Punkt in die Entscheidung mit ein, ob man mit dieser Person dann schlussendlich auch intim werden möchte. Im Club ist für sowas natürlich wenig Platz. Man läuft sich an dem einen Abend über den Weg und hat an dem Abend dann auch Sex. Natürlich kann man sich vorher auch eine Stunde unterhalten und schauen ob es passt, aber das ist eine ganz andere Voraussetzung. Daher spielt für Bonnie das Aussehen des Mannes im Club eine viel größere Rolle – und das könnte schwierig werden. Ausgeschlossen ist es aber nicht. Mal sehen, was da noch kommt.
Wie es mit diesem Abenteuer weiter ging, lest ihr in unserem nächsten Blogeintrag. Bis dahin
Gebt euch euren Schlafzimmerlaunen hin!